Ubanda

Von ihrer zehntägigen Reise auf einem Kamel durch die Wüste Sinai berichtet sie, von unterschiedlichen Erscheinungsformen der Wüste, faszinierenden Wüstenpfaden, ungewohnten Düften und Farbspielen, von einer Wüstenmaus, die das Nachtlager störte, und von der Beduinenfamilie, mit der sie umherzog und die sie nachhaltig beeindruckte. Sie schildert, welches Gefühl von Freiheit sie dort erlebte und mit wie wenigen und einfachen Nahrungsmitteln ein Mensch auskommen und zufrieden sein kann.

Wer? Das ist Frau Maria Bräu, die wir im Rahmen des Religionsunterrichtes der 9. Klasse zu den Themen Exodus und Flüchtlingsproblematik in den Unterricht eingeladen haben.

Sie erklärte uns das fremde Wort Ubanda, das eine wichtige Bedeutung bei den Beduinen hat. Übersetzt lautet es „Ich bin das, was ich bin, weil ihr seid“ und es nimmt Bezug auf die Familie, auf den engen Zusammenhalt in der Familie, den großen, bedingungslosen Respekt gegenüber älteren Mitgliedern und ihren Weisungen, deren Worte Gesetze sind und denen absolutes Vertrauen entgegengebracht wird.

Diese Reise, so erzählt die Referentin, hat ihr Einblicke gewährt, die sie für ihre spätere Tätigkeit sehr gut brauchen konnte. Bei der Betreuung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge, untergebracht in den Ferienhäusern bei Stamsried, Landkreis Cham, wurde sie mit einer Kultur konfrontiert, die ihr aus der Begegnung mit den Beduinen schon teilweise bekannt war.

Die Jugendlichen, ausschließlich männliche, kamen aus unterschiedlichen Herkunftsländern, in der Hauptsache Syrien, Pakistan, Afghanistan und Afrika. Sie sprachen kein Deutsch, einige aber recht gut Englisch, und sie hatten alle ausnahmslos schreckliche Fluchterlebnisse hinter sich. Das ungefähre Alter der jungen Männer konnte nur annähernd medizinisch ermittelt werden, da in ihrer Heimat das Geburtsdatum unbedeutend ist. Keiner trug Papiere bei sich denn auch das ist in den Heimatländern nicht üblich. So erhielten alle den 1. Januar als Geburtstag zugeteilt, nur mit unterschiedlichem Geburtsjahr. Der jüngste in dieser Gruppe war schätzungsweise vierzehn Jahre alt, nur wenig jünger als unsere Schüler/innen in dieser Klasse. Er war wie die anderen auch der Erstgeborene der Familie, dem die Chance auf ein neues, besseres Leben gegeben wurde, und der das Überdauern der Familie erhalten sollte.  In vielen Fällen ertranken die Begleiter wie Vater, Onkel, Cousin im Meer, oder die Jugendlichen selbst wurden durch die Enge des Schiffes eingepfercht und schwer verletzt. Als Folge davon tragen sie lebenslange Schäden.

Dolmetscher und Psychologen hatten zunächst alle Hände voll zu tun, um von ihnen Informationen zu bekommen, die nötig für die Soforthilfe und Behandlung waren. Als die Jugendlichen sehr schnell Fortschritte in der deutschen Sprache machten und Vertrauen zu ihren Betreuern gefasst hatten, erzählten sie von Bombardements auf Schulen und Busse, denen sie knapp entgangen waren, von der Ermordung ihrer Lehrer durch die Taliban sowie von der Einschüchterung und Beeinflussung ihrer Familie durch letztere. Sie sprachen davon, dass sie sogenannte Taschenkinder waren. In der Tasche nahmen sie ihre Eltern zu ihrem jeweiligen Arbeitsort mit, bis sie selbst Kinderarbeit leisten konnten. Zugleich erlernten sie hier auch in der Zusammenkunft mit Menschen aus unterschiedlichen Gegenden ein bisschen lesen, rechnen und im Idealfall einige Worte aus einer Fremdsprache. Die praktischen Tätigkeiten, die sie im frühen Kindesalter ausführten, machten sie attraktiv für die Gemeinschaft. Auch in der Unterkunft gelang gerade durch die erworbenen Fertigkeiten, mit denen man sich gegenseitig unterstützte, die Sozialisation. Auch das gemeinsame oder landestypische Kochen schmiedete die Gruppe zusammen.

Besuche auf dem Bauernhof, wo sie die Nähe der Tiere erfahren oder sie streicheln durften, war ein kleiner Ersatz für ihr Defizit an Zärtlichkeiten, die sie vermissten und die ihnen ihre Familie nicht mehr geben konnte.

Nur sehr wenige hatten eine einfache schulische Ausbildung erhalten. Schulischer Unterricht und eine berufliche Ausbildung standen nun an. Die hiesige Bevölkerung im Landkreis Cham zeigte sich sehr aufgeschlossen, bot Praktikumsplätze an, auch Lehrstellen, wenn der Eifer und das Engagement für den speziellen Beruf deutlich sichtbar wurden. In die Schulen der Umgebung fuhren die jungen Leute mit dem Bus oder einem geliehenen Fahrrad. Jedes Mal waren sie wegen der Ferien traurig.

Am Ende der zweijährigen Zeit in Stamsried gab es eine Aktion, mittels der jedem der Flüchtlinge ein Fahrrad geschenkt werden konnte. Das Staunen darüber, ja sogar das Unverständnis war übergroß. In ihrem Heimatland teilte sich eine ganze Familie ein Fahrrad und jetzt sollte jeder eines besitzen? Soviel Luxus kannte man bislang nicht.  Sofort zeigten sie an Ort und Stelle zum Schrecken ihrer Betreuer, wie man zu fünft auf einem Fahrrad fahren konnte. Aber nicht nur das war für sie überwältigend. Auch der Besuch im Supermarkt, die Regeln im Freibad, die Pünktlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel, das viele Papier, das in den Schulen zur Verfügung steht und das, obwohl nicht bis in die letzte Ecke beschrieben, wieder aussortiert wird. Das und noch vieles mehr machte sie fassungslos.

Die abendländische Kultur, der Inhalt christlicher Feste, war für diese jungen Leuten zunächst nichtssagend und bedurfte der Erklärung und sensiblen Hinführung. Die meisten von ihnen waren Muslime und hielten streng die Regeln ihrer Religion ein sowie auch den Ramadan. Als sie immer wieder mürrisch wegen des Hungerns waren, holten die Betreuer den Imam, der sie aufgrund seiner religiösen Autorität darauf hinwies, dass sie in dieser Zeit engelgleich zu leben hätten. Von diesem Zeitpunkt an hatte das Murren ein Ende.

Die meisten Jugendlichen blieben schon aus Loyalität zu ihrer Herkunftsfamilie dem Islam treu, nur einer aus der Gruppe trat zum Christentum über.

Inzwischen sind alle jungen Leute von damals erwachsen, leben in eigenen Wohnungen, studieren oder gehen einer geregelten Arbeit nach.

Die Sehnsucht nach Eltern und Geschwistern bleibt aber groß und die Trennung von der Familie schmerzt. Auch wenn einige von ihnen als das Eigentum des Vaters gesehen wurden, der ihnen aus Stolz den Familiennamen mit einem Nagel in den Oberarm tätowierte, wovon hässliche, große Narben zeugen, gilt für sie auch aus der Ferne Ubanda.

Und was macht unsere Referentin Frau Bräu heute?

Sie leitet seit kurzem die Häuser der Lebenshilfe in Schwandorf und steht wieder im Dienst an Menschen, die ihre Zuwendung besonders brauchen.

Beeindruckend, wie wir finden.

 

Elvira Seibert-Kiener, StDin