Wenn Menschen zu lebenden Büchern werden

Das Johann-Andreas-Schmeller-Gymnasium lud am 08. März 2023 ab 17.00 Uhr erstmals alle Interessierten zum Veranstaltungsformat „Lebendige Bibliothek" ein.

Wie arbeitet eigentlich die Tafel?

Wie lebt es sich auf den Philippinen?

Was muss ich zum Thema Essstörungen wissen?

Was bedeutet Transidentität?

Antworten auf diese Fragen lieferte die „Lebendige Bibliothek“. Diese funktioniert nämlich wie eine klassische Bibliothek. Menschen leihen sich - in unserem Fall für die Dauer von 20 Minuten - ein Buch aus und lesen es - mit dem kleinen Unterschied, dass die Bücher echte Menschen mit echten Erfahrungen sind und dass Lesen hier ein Gespräch bedeutet.

Irene Ehemann und Ernestine Gietl vom Verein Tafel Nabburg erzählten von ihrer Arbeit. Carmina Krätzig aus der Q12 berichtete von ihrer philippinischen Heimat. Johanna Baumann beantworteten Fragen rund um das Thema Essstörungen und Theresia Stahl, die stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos, gab Auskunft darüber, was Transidentität bedeutet.

Ziel war es dabei, miteinander in Kontakt zu treten und im Dialog Erfahrungen aus erster Hand vermittelt zu bekommen.

Woher stammt die Idee der »Lebendigen Bibliothek« und was ist dabei wichtig?

Dieser für jeden Interessierten zugängliche Lesesaal ist ein flexibles und modernes Veranstaltungsmodul, das ursprünglich aus Dänemark kommt. Die Begegnung mit den „Büchern“ kann im öffentlichen Raum, beispielsweise auf Straßenfesten oder Marktplätzen, ebenso stattfinden wie als Veranstaltung in geschlossenen Räumen (z.B. im Schulkontext). Dieses neue Format ermöglicht Menschen jeglichen Alters und jeglichen Hintergrunds Begegnung, Erfahrung und Information auf einer sehr persönlichen Ebene. Zugleich wird der gesellschaftliche und kulturelle Austausch unter Menschen, die sich sonst möglicherweise nie begegnet wären, gefördert.

Die erste „Lebendige Bibliothek“ des JAS-Gymnasiums ging auf die Initiative des Wertebotschafters der Schule, Linus Marchl aus der 9. Jahrgangsstufe, zurück. Eingeladen dazu waren alle interessierten Leserinnen und Leser. Der Eintritt war frei, zudem wurden kleine Snacks und Getränke angeboten.

Zu den Büchern

Johanna Baumann berichtete über verschiedene Essstörungen wie Anorexie, Bulimie, Binge-Eating-Disorder, Gesundheits- oder Muskelsucht. Bei diesen Erkrankungen sei primär eine psychologische Betreuung und Verhaltenstherapie notwendig, unterstützt durch Ernährungswissenschaftler. Gerade die Coronapandemie habe diese Problematik verschärft und es gebe mittlerweile viele Kinder, die Magersucht haben oder in Folge von Adipositas vermehrt unter Diabetes mellitus Typ II leiden.

Theresia Stahl sprach über ihr Coming-Out im Alter von 20 Jahren und die Situation vieler trans* Menschen. Sie berichtete über ihre Erlebnisse und Erfahrungen, wie etwa über einen Therapeuten, der sie zu einer Konversationstherapie überreden wollte, oder wie es sich anfühlt, eine Hormonersatzbehandlung zu absolvieren.

Carmina Krätzig, deren Mutter Philipina und deren Vater Deutscher ist, sprach über das Leben in ihrer zweiten Heimat, das einen großen Gegensatz zu ihrem Leben in Deutschland bildet. Sie erzählte von den Lebensbedingungen abseits der großen Tourismusregionen, wo viele Menschen in Slums leben und nur Gelegenheitsjobs haben. Die Regierung dort habe kürzlich ein Programm gestartet: Wer ein Kilo Plastikmüll am Strand sammelt, bekommt im Gegenzug ein Kilo Reis geschenkt.

Kerstin Ehemann und Ernestine Gietl klärten über die Arbeit der Tafel auf. Um eine Tafel gründen zu können, brauche man zunächst die Einverständniserklärung der umliegenden Tafeln, da hier „Reviere“ in Form von Supermärkten, Bäckereien etc. abgesteckt werden müssten. Der Arbeitsaufwand, der anfällt, bevor die Ware ausgegeben werden kann, sei enorm und eine logistische Herausforderung. Die rund 50 ehrenamtlichen Mitarbeiter hätten zudem häufig mit Vorurteilen zu kämpfen, dass viele das Angebot ausnützen würden. Tatsächlich bekommt man aber nur einen Berechtigungsschein, wenn man tatsächlich bedürftig ist. In Nabburg sind das derzeit etwa 220 Menschen, darunter viele Familien mit Kindern, hinter denen tragische Schicksale stehen. Ältere Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und am Existenzminimum leben, müssen von den Mitarbeitern oft erst noch überzeugt werden, über ihren Schatten zu springen und das Angebot anzunehmen. Ehemann und Gietl machten auch auf die Problematik aufmerksam, dass es den Tafeln oft an Non-food Artikeln wie etwa Zahnbürsten oder Shampoo fehle. Geld- und Sachspenden (Zucker, Mehl, Nudeln oder Reis) seien jederzeit willkommen. Man müsse einfach den Kassenzettel abgeben und bekomme dafür eine Spendenquittung ausgestellt.

Text und Bilder: Linus Marchl