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MEDEA – archaisch und modern

| Theater 

Was Schultheater leisten kann, zeigte die Theatergruppe der Oberstufe (Q12) des Johann-Andreas-Schmeller-Gymnasiums unter der Leitung von Oberstudienrätin Maresa Hottner vergangene Woche in der sehr gut besuchten Nordgauhalle auf beeindruckende Art und Weise: Für die Eigenproduktion „Medea.Jason“ wurden die Textvorlagen, bestehend aus den Medea-Dramen von Euripides, Seneca, Grillparzer, zwar radikal gekürzt, doch der Sprachduktus wurde beibehalten. Das Ergebnis war eine spannende Medea-Version, in der die jungen Akteurinnen und Akteuren das Publikum über 45 Minuten hinweg in ihren Bann zu ziehen vermochten. Dass nach der Schlussszene erst einmal einige Minuten Stille herrschte, bis der erlösende Applaus einsetze, bewies die Stimmigkeit des Bühnenkonzepts, denn was wäre eine Medea-Inszenierung wert ohne Verstörung?

Die Gruppe involviert den Zuschauer in der ersten Szene ins Geschehen, indem sie ihn fordert, den Zuschauerraum bespielt und durch performative Gestaltung die Katastrophe spürbar macht: Die Bühne ist dunkel und leer, in der Mitte nur zu sehen das goldene Vlies. Zu hören ist ein lauter werdendes Pfeifen, ein Tinnitus, es geschieht nichts. Plötzlich läuft eine Schauspielerin aus dem Zuschauerraum auf die Bühne, schnell werden es mehr, Panik beherrscht die Atmosphäre. Durch diese schreiten in angespannter Zeitlupe drei Frauenfiguren an den Bühnenrand und verharren, schleudern dem Publikum und den Griechen, die sich als Chor der Korinther vor der Bühne formieren, sprachgewaltig ihren Hass entgegen und machen auf diese Weise klar, worum es geht: Hass, Rache, Trennung. Alle erstarren auf ein akustisches Signal hin, zu hören ist jetzt nur das Atmen der Geflüchteten. In der Anfangssequenz bereits werden zentrale Prinzipien der Inszenierung deutlich: Durch die Voranstellung des Endes wird die Chronologie aufgebrochen und Neugier geschaffen, chorische Textpassagen wechseln sich mit Einzeltexten ab und nehmen so das Vorbild des antiken Dramas auf, sodass trotz aller modern-abstrahierender Einsprengsel eine archaische Wirkung entsteht, die Hauptfiguren sind mehrfach besetzt. So gelingt es den jugendlichen Schauspielerinnen und Schauspielern, die vielschichtigen, zum Teil widersprüchlichen Figuren überzeugend zu beleuchten. Jason wird von Emilie Frenzel, Linus Marchl und Laurenz Wilhelm bravourös als selbstverliebter Egoist und Frauenheld, der sich nicht scheut immer wieder die gleichen Register zu ziehen, gleichzeitig aber auch verletzlich und sensibel ist, dargestellt. Extremer in ihren Gegensätzen erscheint Medea, die zwischen Hybris und Selbstzweifeln, Liebe und Hass, Schmerz und Raserei zerrissen ist. In einer beachtlichen schauspielerischen Leistung verkörpern Carolin Buchheit, Anna Hösl, Carmina Krätzig Medea so, dass man im einen Moment mit ihr fühlt und sie trösten will, während man sich im nächsten von ihr distanziert und sie verachtet. In kurzen persönlichen Statements äußern sich dann die übrigen Schauspielerinnen und Schauspieler über die beiden Hauptfiguren und erweitern so die Charakterisierung derselben. Das geschulte Auge fühlt sich an Christa Wolfs Roman „Medea.Stimmen“ erinnert. Wohltuend hier der Verzicht auf Klischees und Schwarz-Weiß-Malerei, denn beide sind schuldig, beide sind Opfer wie Täter.

Ein besonderer Moment der Inszenierung ist der Kampf um das goldene Vlies, den die Gruppe in einer Kampf-Choreographie gestaltet. Im Zusammenspiel von Bild und Musik, Licht und Schatten, Normalzeit und Zeitlupe, Gleichförmigkeit und Eigenständigkeit gelingt dem Theaterkurs eine fesselnde Szene. Freundlich lächelnd kommen die Parteien auf die Bühne, entwickeln langsam aggressive Anspannung, um sich dann zunächst in einer festen Kampfaufstellung zu bekämpfen, die sich dann in beeindruckende Zweiergefechte auflöst. Am Ende ermorden die Griechen die Kolcher und stehlen mit Medeas Hilfe das sagenumwobene Vlies. Es scheint, als hätten die Eindringlinge gesiegt, doch da erheben sich die Kolcher wieder und verfluchen im Chor die Flüchtenden. In der Logik des antiken Dramas und auch in diesem Bühnenstück wird so die unausweichliche Katastrophe am Ende des Dramas motiviert.

Von da an geraten die Figuren immer tiefer in den Sog aus Liebe, Eifersucht, Abhängigkeit und Zurückweisung - so sehr, bis am Ende eine von Hass getriebene Medea dasteht und nach der Vernichtung Korinths und seiner Bürger feststellt: Gut ist`s, vollendet ist`s, mehr hab ich nicht, oh Schmerz, was zu opfern dir wäre. Mit der Schulussszene spannt die Inszenierung den Bogen zum Beginn: Tinnitus, Dunkelheit, panisch laufende Akteurinnen und Akteure, Chortexte. Die Parallelen sind offensichtlich und dominant, verändert ist die Position des Chors, der sich zu Medea flüchtet und ablässt von der Dämonisierung der mordenden Frau und letztlich (auch) Jason Schuld zuweist. Eine Apologie der Täterin? Wohl eher nicht. Aber ein gelungener Schlusspunkt, der – wie eingangs erwähnt- das Publikum verstört und zugleich ergriffen entlässt.

DIE MITWIRKENDEN

Medea: Carolin Buchheit (Q12), Carmina Krätzig (Q12), Anna Hösl (Q12)

Jason: Emilie Frenzel (Q12), Linus Marchl (9a), Laurenz Wilhelm (Q12)

Kreusa: Amelie Bock (Q12), Anna Cistecky (Q12)

Kolcher*innen: Carolin Buchheit (Q12), Ronja Freinecker (Q12), Clemens Götz (Q12), Anna Hösl (Q12), Carmina Krätzig (Q12), Dóra Váki (Q12), Luca Werner (Q12)

Griech*innen: Amelie Bock (Q12), Anna Cistecky (Q12), Emilie Frenzel (Q12), Wolfgang Kick (Q12), Linus Marchl (9a), Laurenz Wilhelm (Q12)

Erzählerin: Dóra Váki (Q12)

Technik: Ben Walter (Q12), Benedikt Wolf (Q12), Florian Kasparides (Q12) Spielleitung: Maresa Hottner